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Luftrettung Sauerland – Top oder Flop?

24.10.2014

Schmallenberg/Meschede (NRW) ::  Überraschend schnell und überraschend attraktiv präsentiert sich der Förderverein Luftrettung Sauerland (e. V. in Gründung, wie eine Anfrage beim zuständigen Registergericht ergab). Ziel der Initiative: Die Stationierung eines 24-Stunden-Dual Use-Rettungshubschraubers mit Winde am Flugplatz Meschede-Schüren im Hochsauerlandkreis. Das klingt sehr ambitioniert und ist Grund genug für rth.info, kritisch hinter die Kulissen zu schauen.

Normale Vorgehensweise

Das übliche Prozedere zur Einrichtung eines neuen RTH-Standorts beginnt mit der Feststellung eines tatsächlichen Bedarfs. Hierzu sind oft detaillierte Gutachten erforderlich. Je nach Bundesland werden hier verschiedene Institutionen tätig – seien es Rettungszweckverbände (bspw. in Sachsen) oder Zweckverbände für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung (bspw. im Freistaat Bayern), Landesministerien oder, wie in Nordrhein-Westfalen üblich, Kreise und Kreisfreie Städte des Einzugsgebietes in Form von Trägergemeinschaften. Nach Klärung der Träger- und Genehmigungsfrage kommt es zu Verhandlungen mit den Krankenkassen als zuständige Kostenträger zur Kostenübernahme für den neu zu errichtenden Luftrettungsdienst. Erst danach wird ein Betreiber bestimmt, zumeist durch ein Bieter- bzw. Vergabeverfahren. Ausnahmen von dieser Regel, wie beispielsweise in Gießen ("Christoph Gießen"), gibt es zwar, sind aber äußerst selten.

Die Initiative Luftrettung Sauerland scheint indes einen anderen Ablauf für ihr konkretes Ansinnen vorzusehen. Bevor eine Bedarfsanalyse vorgelegt wurde, die über die eigene Darstellung und Wahrnehmung hinaus geht, wird mit der HeliJet Charter GmbH bereits ein flugbetrieblicher Partner präsentiert, der nach dem Willen des Fördervereins einen Hubschrauber und das fliegerische Personal stellen soll. Für Werbezwecke in Flyern, Infomaterial und Logogestaltungen wird hier mit einer Sikorsky S-76 A++ geworben. Offensichtlich zeigen die Bilder die Maschine mit der Kennung D-HULK, jedoch mit der montierten Kennung „D-HLRS“. Anfänglich war sogar die Kennung "D-HLRG" zu sehen, die allerdings eine EC 145 / BK 117 C2 der ADAC Luftrettung gGmbH trägt - und dies seit dem Jahr 2003. Soll somit erstmals eine Sikorsky S-76 in die öffentlich-rechtliche Luftrettung einbezogen werden? Bislang flogen die Sikorskys nur im Ambulanzflugdienst-Bereich bzw. im so genannten Offshore-Werkrettungsdienst.

Vermeintlich “weißer Fleck“ im Luftrettungsnetz über dem Sauerland

Vermeintlich “weißer Fleck“ im Luftrettungsnetz über dem Sauerland

Foto: Werner Wolfsfellner MedizinVerlag München

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Das ist jedoch nicht das einzige Fragezeichen, was sich bei diesen Bestrebungen auftut. Recherchen von rth.info ergaben, dass der Hochsauerlandkreis nicht beabsichtigt, eine Trägergemeinschaft zu gründen und dies auch im Haushalt 2015 gar nicht möglich sei. Zudem verwies der Sprecher des Kreises auf die Erlasslage des Gesundheitsministeriums, die für die Kommune die Alarmierung der bereits vorhandenen Luftrettungsmittel „Christoph 8“ in Lünen und „Christoph 25“ in Siegen 8 (beide ADAC Luftrettung gGmbH) vorsieht.

Kostenfrage(n)

Gespräche oder Verhandlungen mit den Kostenträgern haben bislang ebenfalls nicht stattgefunden, wie Stellungnahmen des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) in Nordrhein-Westfalen (NRW) und der AOK NordWest gegenüber rth.info zu entnehmen war. Beide Institutionen sehen in NRW keinen Bedarf für einen weiteren Rettungs- und /oder Intensivtransporthubschrauber. Zwar habe im Juli eine Präsentation der Initiative mit einem Hubschrauber (D-HULK) am Flugplatz Meschede-Schüren stattgefunden, zu der auch die Krankenkassen bzw. die Verbände der Gesetzlichen Krankenversicherungen geladen waren, jedoch nahmen diese daran nicht teil. Zu Verhandlungen über eine Kostenübernahme sei die AOK NordWest auch nicht bereit, solange keine Genehmigung des Betriebes durch das Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen (MGEPA) ausgesprochen wurde. Nach Informationen, die der Redaktion vorliegen, soll eine solche Genehmigung durch die Initiative paradoxerweise jedoch nicht beim eigentlich zuständigen MGEPA, sondern beim Ministerium für Inneres und Kommunales beantragt wurden sein. Auch hier wieder ein Fragezeichen.

Flugbetriebliche Hindernisse

Hinzu kommen flugbetriebliche Hindernisse des Stationierungsflugplatzes Meschede-Schüren (ICAO-Kennung EDKM). Dieser ist nur von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 20 Uhr geöffnet und in den Wintermonaten Dezember bis Februar unter der Woche nur nach vorheriger Anmeldung und Anfrage des Luftfahrers (Prior Permission Required (PPR)). Eine mit der Stationierung eines Rettungshubschraubers verbundene Ausweitung der Betriebszeiten hätte nach Ansicht der Redaktion ein neues Genehmigungsverfahren für den gesamten Sportflugplatz oder zumindest die Schaffung eines eigenen Hubschrauberlandeplatzes mit eigener Genehmigung zur Folge. Eine Nachfrage beim zuständigen Luftamt der Bezirksregierung Münster ergab, dass man sich derzeit über die Änderung des Flugplatzstatus keine Gedanken mache. Der von der Initiative angepriesene Vorteil einer allwetter-, nachtflug- und instrumentenflugtauglichen (IFR) Maschine würde sich wie gewöhnlich in der Luftrettung ohnehin nur bei Reiseflugabschnitten auszahlen. Der Flugplatz besitzt weder eine IFR-Infrastruktur, noch eine Befeuerung für Flüge nach Nachtsichtflugregeln (NVFR). Präzisionsanflüge sind am Standort somit nicht möglich. Fragezeichen über Fragezeichen.

Die Flotte des potenziellen Betreibers

Der avisierte Betreiber HeliJet Charter GmbH ist ein Tochterunternehmen des Handelskonzerns SILAG AG mit Sitz in Langenfeld im Rheinland. Nach eigenen Angaben auf der Website führt die GmbH vier Sikorsky S-76 in verschiedenen Varianten in der Flotte. Die Realität sieht allerdings anders aus: Die S-76 B mit der Kennung D-HNDL ist seit einem Rollunfall in Porta Westfalica im Jahre 2013 flugunfähig und ist derzeit in der Instandsetzung. Nach Kenntnissen von rth.info gehört die D-HMGX auch nicht mehr offiziell zur Flotte.

Eines der Betätigungsfelder der HeliJET Charter GmbH: Luftwerbung mit dem weltgrößten Banner. Hier am Flugplatz Uetersen

Eines der Betätigungsfelder der HeliJET Charter GmbH: Luftwerbung mit dem weltgrößten Banner. Hier am Flugplatz Uetersen

Foto: Magnus Reinke

Bei der im Zusammenhang mit der Initiative präsentierte D-HULK handelt es sich um eine S-76 A++, die mit Ablauf des Monats Oktober 2014 auf Grund der in der EU-Verordnung EU-OPS 965/2012 vorgeschriebener Mindest-Flugleistungsklassen nicht mehr im Luftrettungsdienst und ebenso nicht mehr für gewerbliche Einsätze über See nicht mehr eingesetzt werden darf. Bisher befand sich die D-HULK mitunter im Subcharter bei der Firma Heliservice International und war auf dem Flugplatz Emden im Offshore-Personentransport eingesetzt. Bei der D-HULK handelt es sich um die einzige Maschine der HeliJet Charter, die mit einer Rettungs- und Personenwinde bestückt ist. Das Unternehmen trat in der Vergangenheit vor allem durch großflächige Werbebanner-Schlepps über deutschen Großstädten in Erscheinung. Ferner bilden VIP-Personentransporte einen weiteren Tätigkeitsschwerpunkt. Ferner betreut die Firma den Mess-Hubschrauber der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) fliegerisch. Luftrettung, ob primär oder sekundär, findet sich allerdings nicht im Portfolio von HeliJet Charter GmbH.

In einer Stellungnahme des Fördervereins gegenüber der WAZ-Gruppe heißt es unterdessen: „Der Hubschrauber steht bereits lieferbar in den USA“, erklärt der Bad Fredeburger Markus Hennecke. „Sobald wir alle Genehmigungen haben, kaufen wir die Maschine [...]“ Um was für einen Hubschrauber(typ) es sich dabei genau handeln soll und welche Gesellschaft ihn dann letztlich erwerben wird, geht aus dieser Aussage jedoch nicht hervor.

Was soll man nun von der Initiative halten?

Ist es nur ein Schnellschuss, der im Raum verpuffen wird? Bisher deutet vieles darauf hin. Das von der Initiative ins Feld geführte Hauptargument, dass eine nächtliche Versorgung aus Greven („Christoph Westfalen“) oder Gießen („Christoph Gießen“) einer zu langen Anflugzeit bedürfte, dürfte wohl kaum als Rechtfertigung für einen eigenen Sauerland-RTH ausreichend sein. Eine Kostenübernahme für ein Standort mit den Maximaleigenschaften 24-Stunden-Betrieb und Winde scheint alles andere als wahrscheinlich, ganz abgesehen von der Wirtschaftlichkeit einer möglicherweise eingesetzten Sikorsky S-76. Viel größer dürften allerdings die bürokratischen Hindernisse sein, die die Initiative zu überwinden hat. Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich die Menschen hinter der Initiative die Errichtung etwas zu einfach vorstellen würden. Auch aus der Bezirksregierung Münster hieß es am 20.10.2014: „So und über diese Schiene in die Luftrettung zu kommen, ist sehr sehr schwer. Natürlich steht es dem Betreiber frei, eine Maschine dort zu stationieren. Durch welche Leitstelle sie dann aber alarmiert werden soll, steht auf einem anderen Blatt“.

Von 2012 bis 2013 war die D-HULK an den Helicervice International zum Personentransport vom und zum Windpark BARD 1 verchartert

Von 2012 bis 2013 war die D-HULK an den Helicervice International zum Personentransport vom und zum Windpark BARD 1 verchartert

Foto: Magnus Reinke

Das Gleiche gilt für den avisierten Einsatz der mittelschweren S-76 mit Rettungswinde (analog zu den Standorten Sande, Nürnberg, Murnau und München) im Bergrettungseinsatz. Weitere Recherchen ergaben, dass Initiatoren vor Kurzem an einem Windentraining am Simulations- und Trainingszentrum Bad Tölz der Bergrettung Bayern teilgenommen.

Versuchen hier nur große Jungs und ein großes Mädchen ihre Kinderträume zu verwirklichen? Oder steckt da mehr dahinter? rth.info wird auf jeden Fall am Ball bleiben.

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Wir danken für Unterstützung:
Magnus Reinke, Werner Wolfsfellner MedizinVerlag München

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Wir vom Nachrichtenmagazin rth.info berichten ehrenamtlich über Rettungshubschrauber, also notfallmedizinisch ausgerüstete und besetzte Helikopter, die im Rettungsdienst eingesetzt werden. Hubschrauber sind wertvoll als Rettungsmittel, da sie schnell, wendig und unabhängig vom Straßennetz sind. Ebenso dienen sie zum eiligen Transfer von Intensivpatienten zwischen Kliniken.

Für die Luftrettung besteht ein dichtes Standortnetz – sowohl von Rettungshubschraubern, als auch von Intensivtransport-Hubschraubern für den Interhospitaltransfer (siehe unsere Standortkarte). Die Standorte werden von staatlichen und nichtstaatlichen Betreibern unterhalten. Die ADAC Luftrettung stellt die meisten zivilen Rettungshubschrauber in Deutschland. Die DRF Luftrettung betreibt auch besonders viele Luftrettungszentren in Deutschland. Ihr Vorgänger war die Deutsche Rettungsflugwacht e.V. – bis zum Wechsel von Name und Rechtsform (2008). Weitere wichtige Betreiber, darunter das Bundesministerium des Innern mit seinen Zivilschutzhubschraubern, stellen wir hier vor.

Hubschrauber ergänzen den Rettungsdienst am Boden in medizinischen Notlagen. Sie sollen nicht den Bodenrettungsdienst ersetzen, da Rettungshubschrauber nicht allwetterfähig sind. Luftretter unterscheiden mehrere Einsatzarten. Die wichtigsten sind primäre Notfalleinsätze an einem Einsatzort und sekundäre Patiententransporte von einer Klinik zur anderen. In der Luftrettung kommt komplexe notfallmedizinische Technik zum Einsatz, die u.a. Anaesthesie, Chirurgie, Innere Medizin und Pädiatrie abdeckt.

"Helicopter Emergency Medical Services", kurz HEMS, ist die englische Bezeichnung für Luftrettungsdienst. Der Assistent des Notarztes wird daher als HEMS TC bzw. HEMS Crew Member bezeichnet. Zahlreiche Piloten verdienen in der Luftrettung ihren Lebensunterhalt – für viele Fans ein Traumberuf. Die Betreiber setzen viele Flugstunden und Erfahrung voraus.

Der aktuell bedeutsamste europäische Hubschrauberhersteller ist Airbus Helicopters mit seinen Baumustern H135, H145, und weiteren. Der US-amerikanische Hubschrauberhersteller Bell hat mit den Baumustern Bell 212, Bell 222, Bell 412, die Luftrettung mit geprägt, aber seit ca. 2010 Marktanteile an Airbus Helicopters verloren. Beschreibungen weiterer Hubschrauber-Hersteller finden Sie in unseren Typentexten.

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