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Als in Karlsruhe ein Ambulanzhubschrauber flog – Andreas Wolf im Gespräch mit rth.info

28.08.2020

Karlsruhe (BWÜ) ::  Die zivile Luftrettung feiert in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. Das Nachrichtenportal rth.info – Faszination Luftrettung hat das Jubiläum zum Anlass genommen, um in einer mehrteiligen Serie über die Luftrettung in den einzelnen Bundesländern zu berichten (siehe Link im Kontextbereich dieser News).

Darüber hinaus veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen Interviews und Gespräche mit Zeitzeugen aus diesen spannenden fünf Jahrzehnten. Den Auftakt machte das Interview, das unser Korrespondent Jörn Fries Mitte Juli mit dem Luftrettungspionier Hans-Werner Feder aus Kassel geführt hat. Heute folgt sein Interview mit Andreas Wolf, Geschäftsführer der ProMedic Rettungsdienst gGmbH aus Karlsruhe.

Die ProMedic Rettungsdienst gGmbH in Karlsruhe gehört zu den wenigen privaten Rettungsdienstunternehmen, die im Südwesten Fuß fassen konnten. Sie betreibt im Rettungsdienstbereich (RDB) Karlsruhe, der die gleichnamige Stadt und den gleichnamigen Landkreis umfasst, eine Rettungswache im Karlsruher Westen und stellt für den öffentlich-rechtlichen Rettungsdienst zwei 24/7/365-Rettungswagen (RTW) und seit Juni 2019 wieder einen Krankentransportwagen (KTW). Demnächst kommt ein zweiter KTW hinzu.

Andreas Wolf, neben Michael Kraus Geschäftsführer von ProMedic, war einst beim örtlichen Roten Kreuz und flog in den 1980er Jahren auf dem in Karlsruhe stationierten Ambulanzhubschrauber (AHS) sowie dem Rettungshubschrauber “Christoph 43“.

Andreas Wolf vor einem modernen Rettungswagen der ProMedic Rettungsdienst gGmbH (August 2020)

Andreas Wolf vor einem modernen Rettungswagen der ProMedic Rettungsdienst gGmbH (August 2020)

Foto: privat

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Jörn Fries: Von 1986 bis 1989 waren Sie, lieber Herr Wolf, leitender Rettungssanitäter auf dem Karlsruher Ambulanzhubschrauber “Flugwacht Karlsruhe 71“ , der Deutschen Rettungsflugwacht. Wie war das damals? Wo war die Bell 206L "Long Ranger" stationiert? Und wie gestaltete sich der Dienstplan?

Andreas Wolf:

1986 hat man im Rettungsdienst erkannt, dass es Patienten gibt, die schnell, schonend und über weite Strecken in Spezialkliniken verbracht werden müssen. Eine klassische Aufgabe für den Hubschrauber, aber eben nicht für den Rettungshubschrauber, der ja für die Notfallversorgung im jeweiligen Einsatzbereich vorzuhalten ist. So war die Idee vom Ambulanzhubschrauber geboren.

Wir haben damals teilweise quer durch Deutschland Patienten der Behandlung durch Spezialisten zugeführt – in die Orthopädie, in die damals noch seltenen Herzkatheter-Labore oder die Herz-Kliniken sowie in neurologische Zentren. Ab und zu kam es auch zu Repatriierungsflügen – beispielsweise aus Innsbruck oder Paris zur heimatnahen Weiterversorgung des jeweiligen Patienten. Und wenn Not am Mann war oder wir in der Nähe, dann haben wir auch „primär“ gerettet.

Weil damals die Werft der Deutschen Rettungsflugwacht auf dem Flugplatz Baden-Oos in Baden-Baden (ICAO-Kennung EDTB) stationiert war und fast immer ein Hubschrauber nach der Wartung und vor der Überführung auf seine Heimatbasis zur Verfügung stand, haben wir das medizinisch-technische Equipment vor dem Start in die jeweilige Maschine eingebaut und sind mit dieser dann die anstehenden (elektiven) Einsätze geflogen. Das war enorm aufwändig!

Als die Einsätze häufiger wurden, wurde ein eigener Ambulanzhubschrauber angeschafft, eben jene Bell 206L „Long Ranger“ mit dem Kennzeichen D-HEVE, mit der wir in den drei Jahren hunderte von Einsätzen absolvierten. Am Funk haben wir uns dann mit „Christoph 43/2“ gemeldet; die Anerkennung als Teil des Rettungsdienstes mit eigener „Christoph“-Bezeichnung kam erst später. Aus dem „Christoph 43/2“ wurde der „Christoph 51“, der heute in Pattonville bei Stuttgart beheimatet ist.

Von 1986 bis 1989 flog in Karlsruhe eine Bell 206L “Long Ranger“ mit der Kennung D-HEVE als Ambulanzhubschrauber (hier eine baugleiche Maschine)

Von 1986 bis 1989 flog in Karlsruhe eine Bell 206L “Long Ranger“ mit der Kennung D-HEVE als Ambulanzhubschrauber (hier eine baugleiche Maschine)

Foto: Archiv DRF Luftrettung

Die Maschine wurde von erfahrenen Rettungssanitätern, später dann den ersten Rettungsassistenten des DRK-Kreisverbandes Karlsruhe und der Rettungsleitstelle in Karlsruhe an 365 Tagen im Jahr besetzt, die Ärzte kamen „auf Abruf“ von den umliegenden Kliniken. Drei „feste“ Piloten haben sich den Sitz vorne rechts geteilt.

Es gab ruhige Wochen, aber auch Tage mit mehreren Einsätzen nacheinander – was bei dem äußerst begrenzten Raum und der knappen Zuladung der Bell 206L immer eine Herausforderung war. 1989 wurde der Standort des Ambulanzhubschraubers nach Stuttgart verlegt, was sicher sinnvoll war, denn viele Patienten kamen oder gingen in den Raum Stuttgart und die dortigen Kliniken. Schade für uns hier in Karlsruhe!

Andreas Wolf verantwortete in jungen Jahren die Einsätze des Karlsruher Ambulanzhubschraubers als leitender Rettungssanitäter

Andreas Wolf verantwortete in jungen Jahren die Einsätze des Karlsruher Ambulanzhubschraubers als leitender Rettungssanitäter

Foto: privat

Fries: Sie betreiben im Rettungsdienstbereich Karlsruhe mit ProMedic den zugleich größten privaten Rettungsdienstbetreiber in ganz Baden-Württemberg. Wie sehen Sie die Entwicklungen im Rettungsdienst vor Ort, aber auch im Lande, insbesondere seit der Rettungshubschrauber “Christoph 43“ von Karlsruhe vorübergehend nach Rheinmünster an den dortigen Baden-Airpark verlegt wurde und die Hilfsfrist-Erfüllungsquoten in und um Karlsruhe massiv nach unten gegangen sind?

Bereits im Jahr 2011 war auf der Rettungswache 7 von ProMedic ein RTW mit Strobel-Koffer stationiert

Bereits im Jahr 2011 war auf der Rettungswache 7 von ProMedic ein RTW mit Strobel-Koffer stationiert

Foto: Jörn Fries

Am selben Tag am St. Vincentius: Dort hatte im Jahr 2007 eine EC 135 die bewährte BO 105 als Rettungshubschrauber “Christoph 43“ abgelöst

Am selben Tag am St. Vincentius: Dort hatte im Jahr 2007 eine EC 135 die bewährte BO 105 als Rettungshubschrauber “Christoph 43“ abgelöst

Foto: Jörn Fries

Wolf:

Ich haben den Eindruck, dass die rettungsdienstliche Realität immer mühsamer dem rettungsdienstlichen Bedarf hinterherhinkt. Das ist bei der Gesamtzahl der Notfallrettungseinsätze zu beobachten, aber auch bei den „Specials“, wie der Installation der Intensivtransportwagen Baden-Württemberg, inklusive der heutigen Intensivtransporthubscharuber oder der Installation der Nacht-Hubschrauber im Lande.

Eine hochdynamische, sicherheitsrelevante Entwicklung z.B. der Zahl der Einsätze, aber auch der notfallmedizinischen Technik ausschließlich der Selbstverwaltung im Rettungsdienst zu überantworten, ohne dies seitens des Ministeriums regelnd zu flankieren, führt zu keiner oder nur zu sehr, sehr langsamer Weiterentwicklung des Rettungsdienstes. Kosten- und Leistungsträger [FRI: wie die Rettungsdienst betreibenden Hilfsorganisationen hier in Baden-Württemberg genannt werden] haben nun mal prinzipiell gegensätzliche Interessen; in diesem Spannungsfeld bedarf es klarer Regeln, wie denn die Performance des Rettungsdienstes aussehen soll. Es kann nicht sein, dass z. B. gutachterlich definierte Bedarfe (z. B. an zusätzlichen RTW) für Monate nicht umgesetzt werden können.

Die Verlegung des “Christoph 43“ wurde vorab mit den Verantwortlichen vor Ort (z. B. dem Bereichsausschuss Karlsruhe) in keiner Weise diskutiert. Das Ergebnis der Entscheidung für den Standort Rheinmünster war eine komplette Verschiebung der Ausrückeordnung, die man vor der Verlegung des Hubschraubers zwingend hätte kommunizieren müssen. Es hätte Alternativen zum Standort Rheinmünster gegeben, aber diese waren wohl „nicht gewünscht“. Die Anflugzeiten in den RDB Karlsruhe haben sich seither signifikant verlängert, neue Notarzteinsatzfahrzeuge kamen ins Spiel. Ob das so gewollt war?

Die Hilfsfrist allein ist kein Qualitätsmerkmal für den Rettungsdienst, wie die hierfür Verantwortlichen gebetsmühlenartig immer wieder betonen. Einzig entscheidend ist die Eintreffzeit des Patienten in einer geeigneten Klinik innerhalb von 60 Minuten ab Notfallmeldung. Und genau da kommt die Hilfsfrist doch wieder ins Spiel: Es ist mir unklar, wenn wir hohe Prozentsätze der Einsätze nicht einmal planerisch innerhalb der vom Gesetz geforderten Hilfsfrist von zehn Minuten erreichen, und die Versorgungs- und Übernahmezeit des Patienten mit im Schnitt 20 Minuten fast immer konstant ist, wie wir dann innerhalb von 60 Minuten mit dem Patienten in einer geeigneten Klinik sein sollen. Dies mag in städtischen Ballungsräumen noch möglich sein, aber auf dem „flachen Land“ ist solches sehr oft unmöglich – da ist die Hilfsfrist ein klarer Indikator dafür, ob der Rettungsdienst gut geplant ist – oder eben schlecht.

Wenn das Stadt-Land-Gefälle so gewollt ist, muss das die Politik kommunizieren, was sie aber nicht tut! Ganz abgesehen davon: Wer von einer Hilfsfrist von 15 Minuten spricht, wie dies der Innenstaatssekretär Wilfried Klenk (CDU) und auch die Krankenkassen gebetsmühlenartig machen, der hat das Thema noch nicht verstanden. 15 Minuten sind die juristische Ausnahme, die Überschreitung der 10-Minuten-Frist ist im Einzelfall zu begründen! Die „doppelte Hilfsfrist“ für den RTW und den Notarzt ist weltweit einzigartig in Baden-Württemberg und ist – mit Verlaub – genauso schlecht in ihrer Bilanz wie völlig überflüssig.

Fries: Was halten Sie, der Sie zugleich der Interessengemeinschaft privater Rettungsdienste Baden-Württemberg e. V. als Präsident vorstehen, von dem kürzlich veröffentlichten Luftrettungsgutachten der Landesregierung und der als gescheitert anzusehenden Leitstellenreform-Ankündigung von Innenminister Thomas Strobl (CDU)?

Wolf:

Das Luftrettungsgutachten beschreibt die Bedarfe sehr genau – mindestens, was die Nacht-Hubschrauber angeht: Über 1.000 Einflüge per anno aus anderen Bundesländern und der Schweiz postulieren seit Jahren den Bedarf für mindestens zwei Nacht-Hubschrauber in Baden-Württemberg. Auch hier ist das verantwortliche Ministerium zu zögerlich herangegangen; der zweite Nacht-Hubschrauber war schon lange überfällig. Zu den angedachten Standorten bzw. Standortverlegungen kann ich nichts sagen, das müssen die Statistiker definieren. Dann ist es aber wie immer im Rettungsdienst: Nichts ist stabiler, als historisch gewachsene Strukturen, ob diese nun sinnvoll sind, oder nicht.

Und was die Leitstellen-Reform angeht: Davon höre ich nunmehr seit zwei Jahrzehnten immer wieder. 35 Leitstellen mit diversen verschiedenen Software-Lösungen, die untereinander keinesfalls kompatibel sind (z. B. im Fall des Ausfalls) – ohne vordefinierte Abfrageschemata (strukturiert oder standardisiert, Dauerthema im Landesausschuss seit bald zehn Jahren) und teilweise einer Einsatzzahl, die einen Zweimannbetrieb völlig unwirtschaftlich macht – das kann man besser machen!

Selbstverständlich ist es schwierig, dem Landrat seine “eigene“ Leitstelle wegzunehmen, aber der Rettungsdienst ist öffentliche Aufgabe und daher auch an das Wirtschaftlichkeitsgebot gebunden. Wenn man das komplett überplanen müsste, würde man zehn Leitstellen einrichten, zuständig für jeweils etwas mehr als eine Million Einwohner, zwei Software-Lösungen, das Ganze jederzeit redundant und just in time angebunden an die SQR-BW [FRI: Das ist die Stelle zur trägerübergreifenden Qualitätssicherung im Rettungsdienst Baden-Württemberg]. Ohne den Krankentransport übrigens, dessen Disposition konsequent privatisiert und in die Hand derer gegeben gehört, die den Krankentransport betreiben; dann wären auch Leitstellen-Benutzungsentgelte jenseits der 80 Euro kein Thema mehr.

Mein Optimismus, was die Änderung der Leitstellen-Landschaft angeht, und der nochmals kurz aufgeflammt war, als das Innenministerium im Jahre 2011 den Rettungsdienst zugeschlagen bekam [FRI: Vorher lag die Verantwortung beim Sozialministerium.], ist verflogen. Es wird laufen, wie mit dem Digitalfunk: dieser sollte flächendeckend zur Fußballweltmeisterschaft verfügbar sein, auch in Baden-Württemberg. 2006 war das. Und zehn Leitstellen im Land, mit aktueller, laufend weiterentwickelter Software, mit speziell ausgebildeten Mitarbeitern, mit digital unterstützter Disposition – z.B. auch der Hubschrauber (seit 2015 Thema im Landesausschuss, aber immer noch nicht flächendeckend realisiert) und guten, laufend individuell nachjustierten Abfrageergebnissen – z. B. über Rückmeldezahlen. Das werde ich wohl nimmer erleben, denn ich bin 60 Jahre alt, und das Durchschnittsalter für Männer in Deutschland liegt zurzeit bei knapp über 80 Jahren.

Fries: Ich danke Ihnen, lieber Herr Wolf, für das erhellende Gespräch – und wünsche Ihnen ein überdurchschnittlich langes, glückliches und zufriedenes Leben.

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Über rth.info und unser Themenspektrum

Wir vom Nachrichtenmagazin rth.info berichten ehrenamtlich über Rettungshubschrauber, also notfallmedizinisch ausgerüstete und besetzte Helikopter, die im Rettungsdienst eingesetzt werden. Hubschrauber sind wertvoll als Rettungsmittel, da sie schnell, wendig und unabhängig vom Straßennetz sind. Ebenso dienen sie zum eiligen Transfer von Intensivpatienten zwischen Kliniken.

Für die Luftrettung besteht ein dichtes Standortnetz – sowohl von Rettungshubschraubern, als auch von Intensivtransport-Hubschraubern für den Interhospitaltransfer (siehe unsere Standortkarte). Die Standorte werden von staatlichen und nichtstaatlichen Betreibern unterhalten. Die ADAC Luftrettung stellt die meisten zivilen Rettungshubschrauber in Deutschland. Die DRF Luftrettung betreibt auch besonders viele Luftrettungszentren in Deutschland. Ihr Vorgänger war die Deutsche Rettungsflugwacht e.V. – bis zum Wechsel von Name und Rechtsform (2008). Weitere wichtige Betreiber, darunter das Bundesministerium des Innern mit seinen Zivilschutzhubschraubern, stellen wir hier vor.

Hubschrauber ergänzen den Rettungsdienst am Boden in medizinischen Notlagen. Sie sollen nicht den Bodenrettungsdienst ersetzen, da Rettungshubschrauber nicht allwetterfähig sind. Luftretter unterscheiden mehrere Einsatzarten. Die wichtigsten sind primäre Notfalleinsätze an einem Einsatzort und sekundäre Patiententransporte von einer Klinik zur anderen. In der Luftrettung kommt komplexe notfallmedizinische Technik zum Einsatz, die u.a. Anaesthesie, Chirurgie, Innere Medizin und Pädiatrie abdeckt.

"Helicopter Emergency Medical Services", kurz HEMS, ist die englische Bezeichnung für Luftrettungsdienst. Der Assistent des Notarztes wird daher als HEMS TC bzw. HEMS Crew Member bezeichnet. Zahlreiche Piloten verdienen in der Luftrettung ihren Lebensunterhalt – für viele Fans ein Traumberuf. Die Betreiber setzen viele Flugstunden und Erfahrung voraus.

Der aktuell bedeutsamste europäische Hubschrauberhersteller ist Airbus Helicopters mit seinen Baumustern H135, H145, und weiteren. Der US-amerikanische Hubschrauberhersteller Bell hat mit den Baumustern Bell 212, Bell 222, Bell 412, die Luftrettung mit geprägt, aber seit ca. 2010 Marktanteile an Airbus Helicopters verloren. Beschreibungen weiterer Hubschrauber-Hersteller finden Sie in unseren Typentexten.

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