“Ich hab‘s einfach gemacht“ – Deutschlands erster ziviler Hubschrauber-Not-Arzt im Gespräch mit rth.info
21.07.2020
Kassel (HES) :: Die zivile Luftrettung feiert in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. Das Nachrichtenportal rth.info – Faszination Luftrettung hat das Jubiläum zum Anlass genommen, um in einer mehrteiligen Serie über die Luftrettung in den einzelnen Bundesländern zu berichten (siehe Link im Kontextbereich dieser News).
Darüber hinaus werden wir ab sofort in unregelmäßigen Abständen Interviews und Gespräche mit Zeitzeugen aus diesen spannenden fünf Jahrzehnten veröffentlichen. Den Auftakt macht das Interview, das unser Korrespondent Jörn Fries vor Kurzem mit dem Luftrettungspionier Hans-Werner Feder aus Kassel geführt hat.Aus seinem Not-Arzt-Hubschrauber-Test von 1967 entwickelte sich das flächendeckende Luftrettungssystem, wie wir es heute kennen: Hans-Werner Feder vor “dem“ Symbol der Luftrettung – der BO 105 von MBB
Foto: Jörn Fries
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Der praktische Arzt hatte im Sommer 1967 mit seinem dreiwöchigen Not-Arzt-Hubschrauber-Feldversuch in Neu-Anspach (Kreis Usingen/Taunus, heute Hochtaunuskreis/Hessen) die Grundlagen für den Aufbau der zivilen Luftrettung in der Bundesrepublik geschaffen (rth.info berichtete mehrfach) und stellte sich anlässlich seines erstmaligen Besuchs des Technik-Museums Kassel den Fragen von Jörn Fries.
Jörn Fries: Die im Technik-Museum Kassel ausgestellte BO 105 steht als Synonym und Symbol für die Entwicklung der zivilen Luftrettung in der Bundesrepublik Deutschland. Erstmals im Februar 1967 als Prototyp vorgestellt, kam die BO 105 für Ihren Not-Arzt-Hubschrauber-Feldversuch im Sommer 1967 zu spät.
Aber auch die zweisitzige Brantly B2B, mit der Sie Ihren selbst geplanten Versuch unternahmen, erfüllte ja Ihre gewünschten Zwecke. Davon erzählt eindrucksvoll Ihr mehrseitiger Bericht, den Sie unmittelbar nach Ende Ihres dreiwöchigen Feldversuchs angefertigt hatten und den der ADAC-Gau Hessen dann im Oktober 1967 veröffentlichte und auch breit streute. Wenige Wochen später saßen Sie sogar mit Herrn Georg Leber, von 1966 bis 1972 Bundesverkehrsminister, zusammen. Wie war das damals und worum ging es in diesem Gespräch?
Hans-Werner Feder:
Dabei wurden dem Minister Leber besonders die statistischen Ergebnisse des dreiwöchigen Feldversuchs erläutert. Um jedoch weitere Erkenntnisse zu erlangen, müssten die Versuche fortgesetzt werden, wobei eine Finanzierung aus Bundesmitteln erforderlich sei, sagte ich ihm.
Fries: Hatten Sie nach dem Gespräch das Gefühl, dass sich Herr Leber für Ihr Projekt erwärmte?
Feder:
Der Bundesverkehrsminister zeigte sich sehr interessiert. Wie sich aus dem Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen zum Thema Luftrettung aus dem Jahr 1971 ergibt, wurden alle ab dem Folgejahr durchgeführten Hubschrauberversuche auch vom Bundesverkehrsministerium finanziell gefördert.Die heute so genannte 15-Minuten-Hilfsfrist war mir schon damals ein Anliegen. In meinem Bericht “Unfallrettung unter Einsatz von Hubschraubern“ vom Oktober 1967 heißt es dazu: “Um nämlich entscheidend helfen zu können, muß der Arzt den Unfallort spätestens in 15 Minuten erreicht haben.“ Ob ich da auf bereits in der Notfallmedizin diskutiertes Vor-Wissen anderer zurückgegriffen habe, das ist mir, lieber Herr Fries, nach über 50 Jahren nicht mehr erinnerlich. Es mag aber so gewesen sein.
Fries: Im Herbst 1970 startete der ADAC an seinem Hauptsitz in München den vom Bundesverkehrsministerium finanziell geförderten Modellversuch mit dem damals auf den Namen “Christoph“ getauften Rettungshubschrauber vom Typ BO 105 A, es folgten mit “Christoph 2“ in Frankfurt am Main – unfallbedingt allerdings erst 1972, “Christoph 3“ in Leverkusen bzw. Köln Ende 1971 und “Christoph 4“ in Hannover im Folgejahr 1972 drei Zivilschutz-Hubschrauber des Bundes. Und ebenfalls schon ab November 1971 setzte die Bundeswehr an ihrem Test-Rettungszentrum am Bundeswehr-Krankenhaus in Ulm eine nagelneue Bell UH-1D als permanent mit einem Notarzt besetzten Rettungshubschrauber des Such- und Rettungsdienstes für die Unfallrettung ein. Inwieweit waren Sie in diese Modellversuche des Bundes eingebunden?
Feder:
Gar nicht, lieber Herr Fries. Ich bin 1969 mit meiner kleinen Familie von Ober-Mörlen nach Kassel gezogen und habe dort eine Arztpraxis übernommen. Mit dem Rettungsdienst hatte ich dort dann aber doch noch einige Jahre zu tun. Ich bin nämlich rund 800 Einsätze auf dem Not-Arzt-Wagen der Kasseler Samariter gefahren. Oft von der Praxis aus, im so genannten Rendez-vous-System, oft von zuhause aus. Und das nicht immer zur Freude meiner Frau, das kann ich Ihnen sagen.Aber der Schlusssatz meines kleinen Berichts aus dem Oktober 1967 liest sich wie eine Aufforderung, der man einfach nachgehen musste: “Die zuständigen Gremien sollten daher nicht länger zögern, ein Luftrettungssystem aufzubauen. Hubschrauber in der Unfallrettung würden wesentlich dazu beitragen, Menschenleben zu retten.“ Und, lieber Herr Fries, dazu ist es ja schließlich gekommen.
Fries: Lieber Herr Feder, es war mir eine Freude mit Ihnen über die Anfänge der zivilen Luftrettung gesprochen zu haben. Bleiben Sie gesund – vor allem in diesen verrückten Corona-Zeiten.
Bei seinen Notfalleinsätzen wurde Feder im Sommer 1967 immer wieder mit menschlichem Leid konfrontiert (hier ein Einsatz auf einer Autobahn im Rhein-Main-Gebiet)
Foto: Sammlung Hans-Werner Feder/Archiv Werner Wolfsfellner MedizinVerlag München
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Autor
- Wir danken für Unterstützung:
- dem Werner Wolfsfellner MedizinVerlag München, dessen umfangreiches Archiv zur Geschichte der zivilen Luftrettung in Deutschland wohl einmalig ist
- Quelle(n):
- Hans-Werner Feder: UNFALLRETTUNG unter Einsatz von Hubschraubern. Bericht über einen Feldversuch. Ober-Mörlen (Kreis Friedberg) 1967.