Fliegen mit Gegenwind: Christoph 77 (Teil 1)
27.03.2005
In dieser Reportagenserie sind erschienen:
- 27.03.2005 :: Fliegen mit Gegenwind: Christoph 77 (Teil 1)
- 23.04.2005 :: Wenn Medizin fliegen lernt: Christoph 77 (Teil 2)
- 10.05.2005 :: Hightech auf Kufen: Christoph 77 (Teil 3)
Vom Buchdruck zur Luftrettung – unsere Reportage
Lesen Sie im ersten Teil unserer Reportage über die Hubschrauberstation in Mainz:
- Wie man dazu kam, den Helikopter nach Mainz zu stellen
- Wie das Engagement von ADAC und Klinik begann
- mit welchen Problemen man zu kämpfen hatte
Christoph 77 ist rund um die Uhr einsatzbereit. Hier Start zum Einsatz in der Dämmerung
Foto: Team-Kalli
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Christoph 77: Wie es dazu kam...
Die Bundeswehr verlegte ihren SAR-Hubschrauber nach Malmsheim
Foto: Anonym. Das Foto ist dennoch copyrightgeschützt
1996 zieht die Bundeswehr ihren SAR-Hubschrauber “SAR 46“ (2.Grades) in Pferdfeld ab, welcher am 01.04.1998 nach Malmsheim verlegt wurde, und der BGS kündigt wenig später an, Christoph 10 in Wittlich abgeben zu wollen. Um die dadurch entstehenden Lücken möglichst optimal schließen zu können, beauftragt man die Run-Forschungsconsultig aus Marburg, ein Gutachten anzufertigen. Die Aufträge, zum Einen Christoph 10 an seinem Standort in Wittlich weiter zu betreiben, und zum Anderen einen zusätzlichen Intensivhubschrauber (ITH) im Raum Bad Kreuznach zu stationieren, die aus diesem Gutachten hervorgehen, wurden nach einer Ausschreibung an die ADAC Luftrettung GmbH vergeben.
Während man in Wittlich den Betrieb übernahm, begab man sich auf die Suche nach einer geeigneten Klinik im Raum Bad Kreuznach. Zur gleichen Zeit kam es derweil zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz zur Überlegung den ITH grenzübergreifend zu nutzen. Aus dieser Überlegung heraus fertigte man ein weiteres Gutachten an, das die Stationierung im Raum Wiesbaden empfahl. Doch weder im Raum Bad Kreuznach noch im Raum Wiesbaden fand man eine geeignete Klinik, die über die nötige Infrastruktur zur Beherbergung des ITH verfügte.
Man hatte sich anfangs aber auch nach anderen Klinken im Rhein-Main-Gebiet umgeschaut. Hierbei kam das in der Nähe von Wiesbaden liegende Johannes-Gutenberg-Universitätsklinikum Mainz (JGUKM) als möglicher Standort in Betracht. Zum Einen verfügte man dort bereits über Erfahrung in der Luftrettung. War man dort doch schon an der Pionierarbeit der Luftrettung beteiligt, als man vom 6. August 1968 bis zum 22.09.1968 einen Feldversuch mit einer angemietete “Alouette III“ (SA 319 B) startete, unter der Projektleitung von Prof. Dr. Frey (Direktor der Abteilung Anästhesiologie der JGUM) welcher sich in der Luftrettung und der Notfallmedizin stark einsetzte. 1988 hatte man nach dem Brand im Chirurgiegebäude Bau 505, bei dem nahezu die gesamte Unfall- und neurochirurgische Versorgung ausfiel, einen SAR-Hubschrauber für 4 Wochen fest am Klinikum stationiert, welcher von Klinikanästhesisten besetzt worden war. Somit konnte man die Versorgung bis zur Instandsetzung der fast vollkommen zerstörten Intensivstation, OPs, CT usw. sicherstellen. So wurden bei Bedarf die Patienten an andere Krankenhäuser ausgeflogen.
Der Mainzer Intensiv- Transporthubschrauber, kurz ITH: Christoph 77
Foto: Marc Pandikow
Zum Anderen fiel neben der dort vorhandenen Infrastruktur für einen ITH auch das Engagement und das Mitwirken der Klinik bei vielen Studien, Tests und Forschungen auf dem Gebiet der Notfall- & Intensivmedizin wie in der Luftrettung auf, so dass eine dortige Stationierung mit der Nähe sowohl zum Rhein-Main-Gebiet wie auch zum hauptsächlichen späteren Einsatzgebiet in den Kreisen Mainz-Bingen (mit Ausnahme des Gebietes Kirn) und Bad Kreuznach als sinnvoll erschien. Das rheinland-pfälzische Ministerium des Innern und für Sport (ISM), Träger und verantwortlich für die Infrastruktur des Standortes, sah die Anforderung den ITH an eine dafür geeignete Klinik in Land Rheinland-Pfalz zu stationieren, damit als erfüllt an - die Geburtstunde von “Christoph 77“.
Der Einsatz einer BK 117 des ADAC bildete den Auftakt des Flugbetriebs von Christoph 77. Hier die D-HBKK
Foto: Marc Pandikow
Zunächst startete man vom 01. Juli 1997 an mit einer BK 117 (D-HDAC) vom Landeplatz West des Johannes-Gutenberg-Universitätsklinikums Mainz zu den Einsätzen. Übergangsweise parkte man die Maschine 24h draußen, während die Crew rund um die Uhr in den eigens dafür angemieteten Räumen in den benachbarten Gebäuden des Uniklinikums untergebracht war. Etwa eine Woche später löste die D-HBRE (BK 117) die D-HDAC ab, um im August 1997 gegen die als Stammmaschine vorgesehene EC 135 (D-HRHM) getauscht zu werden. Wenige Tage später allerdings flog bereits wieder die D-HBRE über der Heimatstadt des Buchdrucks, da sich die EC 135 auf Grund der Zuladung und der Innenraumabmessungen als ungeeignet für den Dual-Use-Einsatz erwies.
Die EC 135 konnte den Anforderungen des Mainzer Teams nicht gerecht werden
Foto: Marc Pandikow
So war der Raumbedarf zur Intensivverlegung nicht ausreichend, nicht zuletzt wegen dem zu dieser Zeit verwendeten Beatmungsgerätes Servo 300a. Auch war beispielsweise die Aufnahme eines Inkubators auf Grund des damaligen Gewichts bzw. des Abflugsgewichts nicht möglich; jedoch gehört der Inkubatortransport von schwer erkrankten Früh- und Neugeborenen zu einer der wesentlichen Aufgaben des Christoph 77.
Im Dezember 1997 beschloss man den Bau eines Hangars mit Unterkunft inkl. Betankungsmöglichkeit, um Christoph 77 eine feste Heimat und dem Team eine feste Unterkunft zu geben. Allerdings sollte die Umsetzung des fertigen und genehmigten Bebauungsplanes anders erfolgen als ursprünglich gedacht. Denn eine durch die rund 3 Monate nach der Indienststellung gegründete “Bürgerinitiative gegen den Hubschrauberstandort an der Uniklinik in Mainz e.V.“ bewirkte einstweilige Verfügung stellte die feste Stationierung am JGUKM in Frage. Deswegen stieg man auf eine provisorische Unterkunft mit Zelthangar und Containergebäude um, die im Frühjahr 1998 in Betrieb genommen wurde. Man wollte die hohen Investitionssumme für eine “feste“ Station nicht riskieren, so lange nicht klar ersichtlich war, ob der Hubschrauber zeitlich begrenzt oder doch wie geplant fest an der Klinik stationiert werden würde. Aus diesem Grund installierte man auch keine teure feste Betankungsanlage. Die Überlegung, ersatzweise einen Tank-LKW auf dem Gelände zu stationieren, konnte nicht realisiert werden, da dieses Gelände nicht mehr zur Klinik, sondern schon zur Stadt gehört. Somit musste zum Tanken zunächst in das ca. 50 km entfernte Worms und ab den 01.01.2002 dann in das benachbarte Mainz-Finthen (ca.10 km) geflogen werden. Die dadurch teilweise entstehenden längeren Anflugzeiten zum Nachteil der schnellen Patientenversorgung zu Einsätzen wurden offensichtlich von der Bürgerinitiative in Kauf genommen.
Leise, geräumig, schnell, sicher, Stammgast in der Werft: Die MD 900
Foto: Marc Pandikow
Um die Lärmbelastungen für die Anwohner zu mindern, welches der Hauptgrund aller Klagen der Bürgerinitiative, den Hubschrauber an den Stadtrand zu bekommen ist, investierte der ADAC mit dem Ministerium des Innern und für Sport zusammen in eine fast 500.000.-€ teurere Maschine vom Typ MD 900 gegenüber der ursprünglich vorgesehenen Maschine vom Typ EC 135. Zusätzlich änderte man in einer mit erheblichen Aufwand verbundenen Analyse die An- und Abflugsverfahren, um ein Maximum an möglicher Reduktion der Lärmemissionen zu ermöglichen. Allerdings sind diese speziellen Anflugsverfahren nur für Christoph 77 selber bindend. Gastmaschinen dürfen den Landeplatz am Klinikum im regulären Verfahren an- bzw. abfliegen. Zunächst verlegte man die MD 900 “D-HMDX“, die bis dahin als Christoph Hansa eingesetzt wurde, am 03.04.1998 aus Hamburg nach Mainz, da die zweite neu geleaste MD 900 “D-HITH“ nicht termingerecht überführt werden konnte, man aber die Lärmbelästigung schnellst möglich reduzieren wollte. Mit der Indienstellung der D-HITH am 10.05.1998 in Mainz konnte die D-HMDX schließlich wieder zurück nach Hamburg.
Eine Tankanlage fehlt leider bis heute für den Mainzer "gelben Engel"
Foto: Carsten Schmehr
Ursprünglich als ITH geplant, zeichnete sich in der Planungsphase u.a. durch das nahe liegende Rhein-Main-Gebiet mit seiner hohen Bevölkerungsdichte ab, dass des Öfteren auch Indikationen primärer Natur aufkommen würden. Daher nahm man Christoph 77 als erstes Luftrettungsmittel in Deutschland mit einer Doppelrolle als RTH/ITH, auch “Dual-Use-System“ genannt, in Betrieb. Heute werden rund 70% der Einsätze mit primärer Indikation geflogen und rund 30% entfallen auf sekundäre Indikationen.
Als bundesweit erstes Luftrettungsmittel im Dual Use Einsatz: Christoph 77. Hier das Innenleben der Maschine
Foto: Team-Kalli
Für große Diskussionen sorgte auch das Urteil des hessischen Verwaltungsgerichtshofes Kassel, welches entschied, dass ein Staatsvertrag zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz zur länderübergreifenden Luftrettung benötigt würde. Dem war vorausgegangen, dass zwei private Hubschrauberunternehmen beim Verwaltungsgericht Wiesbaden Klage eingereicht hatten. Doch diesen gab es nicht. Um aber weiterhin die grenzübergreifende Luftrettung sicherzustellen, kaufte die ADAC Luftrettung GmbH das Unternehmen Heliservice Mitte, welcher bis zur Indienstellung des Christoph 77 einen ITH betrieb und über die benötigte Lizenz verfügte. Anzumerken ist, dass der Mainzer Hubschrauber auch in den hessischen Rettungsdienstlisten geführt wird. Sofern einsatztaktisch sinnvoll, wird er in Hessen eingesetzt.
Lesen Sie in der Fortsetzung der Reportage über die Hubschrauberstation in Mainz: Das Mainzer Rucksacksystem, das System “B.A.N.I“ – was das ist, wie es kam und wie es allgemein medizinsch bei Christoph 77 aussieht. Rettung auf buchstäblich hohem Niveau.
PDF-Download
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Autor
- Wir danken:
- M. Müller, P. Bargon, Dr. G. Scherer, Team Christoph 77