Westpfalz: Welche Auswirkungen hätte der Dual-Use-RTH auf das Saarland?
12.03.2019
Saarbrücken (SAA) :: In der Westpfalz ist seit Mitte Oktober 2018 ein Intensivtransporthubschrauber (ITH) der Johanniter Luftrettung stationiert. Er wird allerdings vorwiegend als schneller Notarztzubringer in der Region um Kaiserslautern eingesetzt, obwohl er formal nicht in das öffentlich-rechtliche Rettungsdienst-System integriert ist (rth.info berichtete mehrfach). Das Land Rheinland-Pfalz hat nun den Probebetrieb eines so genannten Dual-Use-Rettungshubschraubers ausgeschrieben und will parallel dazu gutachterlich den Bedarf für ein solches Luftrettungsmittel eruieren. Hieß es anfangs noch, dass dies alles im Einklang mit dem Saarland geschehe, so kristallierte sich zuletzt heraus, dass das Saarland lediglich in Kenntnis gesetzt wurde, also weder an den Planungen für den RTH-Standort noch beim Verfassen des Gutachtens involviert sei. Das ist insofern beachtlich, da unmittelbar an der Landesgrenze zu Rheinland-Pfalz das Universitätsklinikum Homburg/Saar liegt.
Blick in die Vergangenheit
Bei der Standortplanung für das Saarland war bereits Mitte der 1970er Jahre, also vor ca. 45 Jahren, die Wahl zwischen zwei Standorten, nämlich dem heutigen Klinikum Saarbrücken gGmbH auf dem Winterberg in der Landeshauptstadt und dem Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS), als Gesundheitszentrum der Hochleistungsmedizin, in Homburg/Saar (östliches Saarland). Politischer Wille, unabhängig von den saarländischen Parteien, war und ist damals wie heute, einen RTH für das gesamte Saarland zur Verfügung zu stellen (Luftrettung für das Saarland), wodurch der Standort Saarbrücken als gesetzt bzw. festverankert gilt. Auch immer wieder aufkeimende Diskussionen um eine Standortverlagerung in den vergangenen Jahrzehnten haben in der Konsequenz keine Änderung gebracht. Die Saarländer selbst sprechen nahezu alle von „unserem Christoph 16“, wenn sie über die gelbe EC 135 P2+ vom Saarbrücker Winterberg sprechen. Deshalb kommt nach wie vor eine etwaige Standortverlagerung nach Homburg/Saar nach dem Willen der Politik nicht in Betracht! Für viele Saarländer ist „Christoph 16“ der ADAC Luftrettung längst zu einem Wahrzeichen der saarländischen Landeshauptstadt geworden, der genauso dazu gehört wie die Saar oder das Saarbrücker Schloss.
Der “Rettungshubschrauber für das gesamte Saarland“ – hier steht der “Christoph 16“ an seiner Homebase auf dem Winterberg (Archivaufnahme)
Foto: Holger Scholl
- Anzeige -
Rein theoretisch könnte durch eine Standortverlagerung von Saarbrücken nach Homburg/Saar aber die angrenzende Westpfalz (Großraum Kaiserslautern und auch Teile des Leitstellenbereichs Landau) mitversorgt werden, was dort einen zusätzlichen RTH überflüssig machen und zu einer Steigerung der Einsatzzahlen von „Christoph 16“ führen würde. Im Umkehrschluss könnte ein zusätzlicher RTH in der Westpfalz jedoch zu weniger Einsätzen von „Christoph 16“ führen. Darüber hinaus besteht bereits eine Kooperation mit „Air Rescue 3“ der Luxembourg Air Rescue A.s.b.l. (LAR) im nörd- und westlichen Saarland. Diese wäre zu hinterfragen! Auch könnte „Christoph 77“der ADAC Luftrettung aus Mainz von einem Luftrettungsmittel in der Westpfalz betroffen sein, da dieser derzeit im Gros die Intensivverlegungen aus dem Saarland während der Tageszeit durchführt. Ferner würde auch „Christoph 43“ der DRF Luftrettung weniger Einsätze in der Südpfalz (Leitstellenbereich Landau) fliegen, wenn er nach einer Übergangszeit in Rheinmünster wieder an seinem angestammten Standort in Karlsruhe stationiert ist.
Von den Kostenträgern wurden die geringen Einsatzzahlen des RTH „Christoph 16“ von 1.137 im Jahre 2015 bemängelt (2018 waren es 1.502) und eine Kooperation mit Frankreich gefordert,. Diese war jedoch trotz aller Versprechungen auf höchsten politischen Ebenen bislang nicht zu realisieren. Allerdings müssen an dieser Stelle einmal die Realitäten zurecht gerückt werden, denn das Saarland verfügt als kleinstes Flächenbundesland Deutschlands auf der ärztlichen Ebene über 14 Notarztstandorte mit Notarzteinsatzfahrzeugen (NEF) und einen Intensivtransportwagen (ITW) sowie zwei Leitende Notärzte (LNA), so dass der RTH „Christoph 16“ quasi als Joker immer nur dann eingesetzt werden muss, wenn er wirklich in seiner Ergänzungsfunktion benötigt wird. Die flächendeckende und enge Organisation des Notarztdienstes sowie das dadurch mögliche Dispositionsverhalten der Integrierten Leitstelle (ILS) des Saarlandes in Trägerschaft des Zweckverbandes für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung (ZRF) Saar ist als vorbildlich zu bezeichnen und ganz im Sinne des Gedankens der Luftrettung seit ihrer Gründung im Jahre 1970! In den vergangenen Jahren wurden die Einsatzzahlen wieder kontinuierlich gesteigert, so dass im vergangenen Jahr 1.502 Notfalleinsätze zu verzeichnen waren. Ein zusätzlicher RTH/ITH (Dual-Use-Hubschrauber) wird deshalb im Saarland nicht benötigt. Allerdings könnten Vorteile (Optimierung) durch einen 24-Stunden-Betrieb bestehen, da derzeit nachts auf den Dual-Use-ITH „Christoph Gießen“ der Johanniter Luftrettung in Mittelhessen bzw. andere 24h-ITH mit langen Anflugzeiten zurückgegriffen werden muss. Bei einer Stationierung eines RTH-/ITH in der Westpfalz könnte das östliche Saarland auch durch dieses Luftrettungsmittel versorgt werden, und es könnte rein theoretisch eine Standortverlagerung nach Lebach oder sogar in die geographische Mitte des Saarlandes ins Gewerbegebiet nach Eppelborn in Betracht gezogen werden, dann wären die Anflugzeiten ins nördliche Saarland deutlich geringer. Dies auch vor dem Hintergrund, dass eine Kooperation mit Frankreich in absehbarer Zeit nicht in Sicht ist, womit der RTH „Christoph 16“ in Saarbrücken seit über 40 Jahren nur einen Halbkreis-Einsatzradius hat, wo er annährend 54.000 Einsätze geflogen hat.
Auch das Stadtgebiet von Neunkirchen/Saar gehört zum Einsatzgebiet von “Christoph 16“
Foto: Holger Scholl
Immer wieder gab und gibt es aktuell Diskussionen um den Standort Winterberg; dabei wurde dieser erst vor wenigen Jahren aufwändig ausgebaut
Foto: Holger Scholl
Die hier geschilderten Optionen finden bislang allerdings keinen Widerhall in den aktuellen Diskussionen. Stattdessen wird sogar darüber spekuliert, dass neben einem öffentlich-rechtlichen Dual-Use-RTH in der Region um Kaiserslautern ein weiterer ITH im Grenzgebiet von Rheinland-Pfalz und dem Saarland stationiert werden könne, der insbesondere dem Homburger Universitätsklinikum dienlich wäre. DRF Luftrettung und Björn Steiger Stiftung hatten den beiden für Luftrettung zuständigen Innenministerien in Mainz und Saarbrücken erst kürzlich entsprechende Angebote unterbreitet.
Im September 2017 entstand diese Aufnahme des landenden RTH “Christoph 16“ auf dem neuen Dachlandeplatz am UKS in Homburg/Saar
Foto: UKS
Nachrichten zu diesem Thema im Archiv
- 26.12.2010 Bürgerinitiative pro neuem Rettungshubschrauber
- 31.08.2014 Unterschriftenaktion pro RTH für die Westpfalz
- 20.09.2014 Westpfalz: 1-jähriger RTH-Probebetrieb im Gespräch
- 09.11.2016 Westpfalz: Land sieht keinen Bedarf für eigenen RTH
- 05.01.2017 SWR zu Kaiserslautern: “Das Ende einer Initiative“
- 20.10.2018 Probebetrieb: Kaiserslautern erhält ITH für ein Jahr
- 24.10.2018 Mehrere Landkreise loben Indienststellung des sogenannten “Air-Rescue Pfalz“
- 07.11.2018 SWR: Krankenkassen wollen Einsätze von “Air Rescue Pfalz“ nicht bezahlen
- 12.03.2019 Westpfalz: Welche Auswirkungen hätte der Dual-Use-RTH auf das Saarland?
- 17.03.2019 Westpfalz: Land Rheinland-Pfalz sucht Betreiber für offiziellen ITH-Probebetrieb
- 23.03.2019 Dual-Use-ITH für die Westpfalz: Bietergespräche ausgesetzt
- 26.05.2019 Luftrettung Westpfalz: Vergabeverfahren kann weitergehen
- 30.08.2019 Westpfalz: Dual-Use-RTH des ADAC nimmt am 2. September Dienst auf
- 02.09.2019 Westpfalz, 2. September: Fly-In “Christoph 66“ – Fly-Out “Air Rescue Pfalz“
- 14.10.2019 “Christoph 66“: Heute beginnt offiziell der einjährige Probebetrieb
- 03.12.2019 Westpfalz: Schon mehr als 300 Notfalleinsätze von „Christoph 66“
- 23.08.2020 Muss “Christoph 66“ den Segelflugplatz in Eßweiler verlassen? – Neues aus der Westpfalz
- 03.09.2020 Ein Jahr in der Westpfalz – ADAC Luftrettung zieht Bilanz: „Christoph 66“ fliegt 1.519 Einsätze
- 22.12.2020 “Christoph 66“ von Eßweiler nach Imsweiler verlegt
- 22.10.2021 Westpfalz: Luftrettungsstation soll für dauerhaften Betrieb ausgeschrieben werden
- 23.06.2022 Land Rheinland-Pfalz schreibt Luftrettung in der Westpfalz aus – dauerhaft und mit Rettungswinde
- 27.04.2023 Dauerbetrieb von “Christoph 66“: ADAC Luftrettung erhält Zuschlag für das nächste Vierteljahrhundert